Vor den Bretterwänden

Wie lang noch, frag ich den Floristen,
der seit ewig keinen lila Flieder hat.
Nachmärz geht in Spätherbst über,
schert niemanden vor den Bretterwänden dieser Stadt.
Leute stehen Schlange, halten Pfeile Richtung
Selbstbetrug und süßester Melancholie.
Davon gibt es nirgends solche Mengen
wie hier an der Ecke Knochenhauer Rivoli.

Geranien macht man winterfest, auf Dächern
lauern Tauben, aufgeschwemmt von Glutamat.
Die Luft wird eingedickt von Kirchenglocken,
in den Kisten hinterm Wochenmarkt
wühlen Tafelritter nach Verdorbenem, auf T-Shirts
klagt man gegen alle Ideologien.
Von Litfaßsäulen künden bärtige Propheten
Losungen in immergrünen Rhapsodien.

Der böse Eismann hockt auf einer Kellertreppe,
singt von Kaliforniens Sonn‘ ohn‘ Unterlass.
Hinterm Schlachthof drehen tote Tiere überm Feuer
zum Ententanz im Fließbandtakt
ziehen Baskenmützen Koffer voller Steine
ohne Sinn, aber mit Ziel.
Krähen kauern unter den Arkadenmauern
haben zwei schwarze Hunde ihre Schnauzen im Müll.

Los komm, Wind, Wind, weh und blas das ganze Zeug hier weg,
und Regen, Regen, Regen regne, spül die Straßen wieder frei.
Doch Leute echt, wenn das der Glanz des Glücks sein soll,
dann ist mein Pech mir wirklich einerlei.

Leichtmetall-Insekten kreisen über Dächern,
spähen nach Illegalen und nach totem Holz.
Lodenröcke patrouillieren zum Checkpoint,
Der Überbau auf Fahrrädern aus purem Gold,
schiebt die Müßiggänger, die beiseitetreten,
in den Rinnstein und kutschiert zum Abendmahl
in die Bars am Hafen, wo die Träume umgeschlagen
werden in Containern aus Gewitterstahl.

Gemeinschaftsschüler rappen Fern bei Sedan und
ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm, und ein Barett
wackelt auf dem Kopf einer Für-immer-Schönen,
Richtung Herzland rollt schweres Gerät.
Dönermesser sensen Geistesblitze klein
in Fetzen und die liegen unterm Dach
vom Kulturpalast, wo heut ein Stück gebracht wird
von der Menschenfresser-Liebe Macht.

Fledermäuse hängen von der Decke,
und sie lamentieren von früh bis spät
über Reisewarnung, sieben Halbwertszeiten
und dass im Paradies bald nichts mehr geht,
wenn die Verdammten dieser Erde überlaufen
und die Wälle brennen beim finalen Krach,
überheult von den Aufschäumern, in den Kolonaden
hetzen drei schwarzen Hunde mir nach.

Los komm, Wind, Wind, weh und blas das ganze Zeug hier weg,
und Regen, Regen, Regen regne, spül die Straßen wieder frei.
Aber Leute hört, wenn das der Preis der Freiheit ist,
dann möchte ich hier nicht gefangen sein.

Ramona zieht mich einmal mehr hinunter
auf ein Rauschkraut-Rendez-vous im Metroschacht,
wo die Abhängigen zurückpendeln,
dem Trabantenhaufen-Stuporschlaf
entgegen, knietief in Verbindlichkeiten, starren sie
auf U-Bahn-Wände, und da stehen
Klassikerzitate, Massenstreikaufrufe,
freundlich grüßt die Shopping-Queen.

Sie schiebt mich rüber in den toten Winkel, sagt:
Wird immer enger hier, aber das Weltall dehnt sich aus.
Und ich sag: Bitte merk dir das, wir machen,
wenn wir es rausgeschafft haben, einen Film daraus.
Und sie lacht und sagt: Pass bloß auf, mein Lieber,
am Morgen schießen sie auf jeden, der sich rührt
hinterm Schlagbaum, und ich sag: Ich lieb dich auch,
und sie: Verschwinde bloß, eh was passiert.

Oben ist die Stadt inzwischen abgeriegelt,
Leiber zucken gutgelaunt, Mitläuferpflicht tuend,
Pogo, Walzer, von Spezialkräften
werden neue Leichen aus dem Fluss gefischt.
Heimatschützer hacken Buchstaben in Masken,
Helikopter hämmern, in den Nacht-Absinth
ascht der Bordsteindichter, im Säulengang vorm Rathaus
haben schwarze Hunde ihre Schnauzen im Wind.

Los komm, Wind, Wind, weh und blas das ganze Zeug hier weg,
und Regen, Regen, Regen regne, spül die Straßen wieder frei.
Doch Leute echt, wenn das nur mein finales Fieber ist,
dann hoff‘ ich, das geht schnellt vorbei.